einundzwanzigster Juli | 2021
- La Bruyère:“Die Arbeitsteilung will, dass jene, die die Annehmlichkeiten einer Kunst genießen, verpflichtet sind eine andere auszuüben.“
Ich hatte mir Visitenkarten gemacht. Der ältere Herr im Kopierladen – wir kannten uns bereits, ich hatte hier schon einmal drucken lassen, aber das war lange her – dieser Herr also, half mir mit meinem Anliegen. Ein Farbkopierer, einige Blätter schweren Papiers und ein antikes Schneidegerät reichten dazu aus, um mein zu Hause gebasteltes Design in ansehnliche und (extra schwierig bei Handarbeit) in exakt gleichförmige Visitenkarten zu verwandeln.
Gestern hörte ich im Deutschlandfunk Kultur, dass es in Bayern noch 5 Gletscher gibt. In Wittmund gibt es noch 1 Kopierladen.
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Vor einem Tante-Emma-Laden in Reepsholt.
Ich sitze beim Frühstückskuchen mit Kaffee. Ich habe mir angewöhnt in allen Läden dieser Art etwas zu kaufen. Deswegen gibt es jetzt Kuchen zum Frühstück.
Diesen Laden hier kenne ich schon, und der Laden kennt mich. Heute kein Teilchen, es ist zu heiß. Ich esse Erdbeerkuchen, der steht im Kühlschrank.
Draußen auf dem Stuhl sitze ich unweit der Straße, gegenüber die Kirche. Daneben ein überregional bekanntes Geschäft zur Wartung und Instandsetzung von Rasenmähern, Motorsägen, Landmaschinen, und es schiebt sich die norddeutsche Tiefflugwolke vor die Sonne. Sie ärgert alle, die die nur ein Wochenende haben, um sich intensiv zu erholen. Mir macht die Wolke alles angenehmer. Das Telephon fragt mich Phrasen ab.
„J’aimerais t’inviter á diner.“
„On peut aller á n’importe quel restaurant dans la ville.“
„J’ai oublié mon passport.“
Da fällt mir mein Traum von letzter Nacht ein. Nicht der ganze Traum, zu lang, aber die folgende Sequenz.
Ich sitze im Klassenraum. Der Raum ist mir gut bekannt. Ich weiß genau, wo im Gebäude, das meine weiterführende Schule war, dieser Raum sich befindet. Herein tritt ein Offizier der Wehrmacht. Im Traum ist er mir persönlich bekannt. Sein Blick trifft mich und damit auch die Schuld. Er hatte mir zuvor den Auftrag erteilt, die anderen Schüler vorzubereiten. Sie alle sollten ihn mit heruntergelassenen Hosen erwarten. Diese Vorbereitung ist offensichtlich ausgeblieben, dennoch ist der Offizier guter Dinge. Es geht um eine Gesundheitsinspektion. Er hält ein Klemmbrett in der Hand. Noch einmal Normalität für alle. Noch einmal ordentlich verwaltet werden.
In mir die alles zerschindende Angst ist eine andere: Ich habe meine Unterlagen nicht dabei und den Fragebogen vergessen auszufüllen. Meine Entschuldigung ist, ich sei gerade im Umzug begriffen. Mich erreicht ein freundliches Lächeln, es scheint nicht viel zu machen. Ich darf mit den anderen mit.
Der Glastisch blendet, da hat die Erinnerung an den Traum keine Chance.
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„Wirf dich wie ein Sperrangel – so weit!
Hab‘ keine Angst, hab Zeit.
Kommt der Kissinger morgen zu Besuch,
Gib ihm keinen Kaffee!
[…] retten.
[…] Ketten.“
Georg Kreisler: Allein wie eine Mutterseele
Ich weiß noch so ungefähr den Verlauf des Prozesses, wie ich abgestoßen wurde von der Universität, wie ich mich von ihr abstieß. An diesem Anfang steht der Tod einer Idee. Mir war nicht klar, dass sie tatsächlich zu Grunde gehen würde, den Schaden nahm ich für nicht so schwer, und sicherlich war ich mit dieser Einschätzung nicht allein.
Über den Zustand der Institution lässt sich trefflich streiten. über meine persönliche Einschätzung dieses Zustandes und meine Reaktion darauf nicht. Ich war schockiert von der chauvinistischen, großunternehmerischen Herangehensweise jener Manager, die uns verwalteten, und zu denen wir qua Anleitung selber wurden, und auch werden sollten. Der Schock sorgte dafür, dass ich länger blieb als ich hätte sollen.
Ich glaubte an diesen Ort, glaubte offensichtlich, dass er bedingt anders funktionierte. Ich hatte zu diesem Glauben Anlass. Es gab Erfahrungswerte und Erzählungen, die dafür sprachen. Der Chauvinist kann mir darauf nur antworten: Das Leben ist hart, wer erwachsen werden will, verhärtet sich gleich mit. Und: Wer erfolgreich erwachsen werden will, verhärtet sich schneller als die anderen. Dann kann er der Konkurrenz eins reindrücken.
Die Ängste meiner Kollegen, ihre Anpassung zu beobachten und zu begreifen, was mit mir selber geschah, nahm einen Großteil meiner Aufmerksamkeit in Anspruch. Jede Universität und Grad School kochte ihr Süppchen. In allen Töpfen, schien es mir, bissen Fische, die gemeinsam verreckten, sich gegenseitig die Köpfe ab.
Es gab für mich noch das Seminar, mit Professor*Innen und Kolleg*Innen, die nicht über den Arbeitsmarkt sprachen oder sich überlegten, wem sie bei welchem Empfang irgendwie die Hand schütteln konnten. Und dann gab es noch Menschen, die innerhalb dieser Hackerei sich stark darum bemühten Menschen zu bleiben, und mehr wollte ich damals wie heute von niemandem verlangen. Ich ziehe daraus heute folgenden Gewinn: ich habe mehr Seminare und gute Menschen in mein Leben hineingezogen, als die Marktregeln es für mich vorgesehen hatten. Habe ich den Markt damit geschlagen? Kann so eine floskelige Metapher überhaupt auf meiner Seite sein?
Es bleiben viele Fragen. Jetzt bin ich Freiberufler und beobachte immer noch, was der freie Markt mit uns und mir so macht. Da werde ich bislang nicht enttäuscht. Jeder gewaltfreie Moment beim Marktwirtschaften ist mir positive Überraschung – alles eine Frage der Erwartungshaltung.
Es gibt noch einen anderen Markt, in den hatte die Neuzeit einen utopischen Keim gepflanzt, sodass man heute noch glaubt, er sei gar keiner: das Zwischenmenschliche, die Liebe zwischen Partnern.
Ich kenne mich nur im heterosexuellen Fleischmarkt gut aus, und ich weiß, Männer sollen wissen, was sie wollen, mit beiden Beinen auf dem Boden und im Leben stehen, alles, was sie tun mit Leidenschaft anpacken, Ziele haben, für diese Ziele brennen, Entscheidungen treffen, gegen jeden Widerstand ihr Ding durchziehen, und ohne Altlasten exklusiv für den neuen Liebesgeber arbeiten.
Reden wir lieber nicht davon, was ich alles von einer Frau verlange. Um ehrlich zu sein, ich will es nicht wissen wollen müssen.
Was lässt sich sagen? Der romantischen Liebe ergeht es vielleicht auch so: Aus der heutigen Erfahrung heraus, weiß man nicht mehr, wie sie außerhalb einer kapitialistischen Marktordnung ausgesehen haben könnte. Man muss sich auf die alten Erzählungen verlassen.
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Empowerment gefällt mir. Im Alltag sehe ich aber die Fratze eines entgrenzten Indiduums, das sein Recht einfordert, dem Nächsten Gewalt anzutun. Ein gefährliches Missverständnis, dass sich SUVs zulegt, um sich im Straßenverkehr gegen die anderen Autos durchzusetzen. Gefällt mir nicht.