August 13 | 2016

    Statistisch gesehen.
    Manchmal kommen einem Ideen, da fragt womöglich ein Anderer: ich bin doch Bewohner derselben Welt, dies eine, von dir hier starkgemachte schien mir nicht bedenkenswert. Mit dieser Einleitung will ich verteidigen das profane Objekt meiner Neugierde: die deutsche Notrufsäule.
    Die bundesdeutschen Autobahnen bringen es auf insgesamt über 17.000 Notrufsäulen. Alle zwei Kilometer muss eine stehen, doch Deutschlands Autobahnnetz bringt ’nur‘ auf 13.000 Kilometer. Hier könnte ein Anderer einsetzen und sich zeitintensiv wundern.
    Noch ohne jedes statistische Wissen geschah es mir auf der A 31, auf dem Weg von Norden nach Süden und in etwa auf der Höhe von Twist Die große Anzahl an Notrufsäulen fiel mir auf und binnen weniger Wiederholungen, jetzt da ich sie sah, also binnen sagen wir 4×2 Kilometern, hatte sich mein ansonsten mit 140km stark bewegtes Denken festgefressen an diesen Kisten. Denn das sind sie ja, grobe Apparate auf Ständern. Säulen, das sind Kulturträger, antikes Griechenland, sie sind dorisch, ionisch, etc… ich wüsste nicht woran das zu erkennen ist. Übertrieben repräsentative US-amerikanische Hauseingänge haben sie auch. Ihre Verzierungen sind divers, womöglich dior -ish, also Mode. Notrufsäulen sind nicht einmal das, wohlwollend könnte man noch urteilen: die Notrufsäule ist total old fashioned.
    Trotzdem auf jeden Bundesbürger gefühlt 11 Mobiltelephone kommen, werden, laut Statistik, noch etwa 70.000 Notrufe jährlich in den Trichter der Anlagen abgegeben. Das aktuelle Modell der Firma Siemens besitzt die vielsagend gestrige Bezeichnung NRS 2000. Über das Gewicht der Apparate schweigt sich das Datenblatt aus. Ich vermute, sie sind schwer. Eine wesentlich kleinere Einrichtung für den Bahnbetrieb kommt auf 4 Kilogramm, auch das ist bereits alles andere als ‚handy‘. Ebenso lässt sich der Gehalt der Notrufsäule nicht ohne weiteres feststellen. Ich vermute eine Anzahl von Platinen, vorgeschaltet Omas altem Telephon mit Stoffüberzug. Viele Menschen scheinen die Neugierde über das Innenleben der Notrufsäulen zu teilen. Jedes Jahr werden hunderte Apparate zertreten, abgesägt, zerschmettert, sogar gesprengt.
    Unabhängig von exaktem Gewicht und genauer Zusammensetzung handelt es sich um viele zehntausend Kilo Material, die dort verbaut wurden und werden. Schon diese Menge überforderte mich. Wie veranschauliche ich 17.000 Notrufsäulen auf einem Haufen? Welch ungeheure Ansammlung planetarer Ressourcen. Was ließe sich damit anfangen? Plastik, Silizium, Stahl und andere Metalle.
    Ich schlage zu Hause angekommen dann Folgendes nach. Der Wagen mit dem ich mir diese Strecke erfuhr, besteht aus 1.7oo Kilogramm Plastik, Silizium, Stahl und anderen Metallen. Stehe ich mit 150 anderen, die ich überblicken kann, im Stau, wären es über 250.000 Kilogram auf einem Haufen. Außerdem: In Sichtweise unseres Hauses steht ein Windpark mit mehreren Anlagen vom Typ WEA E126. Ohne mir die unsichtbaren Fundamente zu veranschaulichen, blicke ich pro Anlage auf 3.000.000 Kilogramm Material. Allein in den Flügeln rotieren die Notrufsäulen tausender Kilometer Autobahn. Schwindel befällt mich. Notrufsäulen, Windräder… ich weiß noch nicht, ob ich die Autobahnstrecke an die Küste so leichtfertig ein weiteres Mal unternehmen werde.
    Doch, ob ich daheim meine Ruhe wiederfinde? Im Internet kursieren Schätzwerte für das Gewicht eines deutschen Einfamilienhauses, die mir den Schlaf rauben. Drei Uhr morgens schließlich nehme ich die Kofferwaage zur Hand. Sie ist eines von 10.000 Besitztümern des durchschnittlichen Nordeuropäers. Meine Vorfahren konnten nur schwer Dinge wegewerfen. Ohne Zweifel schlägt unser Haushalt nach oben aus. Ich hänge alles in die Kofferwaage: Teekanne, Bonbon-Dose, Koffer. Des weiteren den Beutel Zwiebeln 500 Gramm, steht doch dran, Geschirr kann gut im Einkaufsnetz gewogen werden, CDs, DVDs, Bücher, Werkzeug, … disfunktionales Dekors an jeder Wand, auf jeder Anrichte. Wie die Anrichte wiegen? Zinn-Geschirr, Zinn-Dosen, ein paar Elephanten aus Holz, eine alte Fleischwaage (bei aller Schwere des Gusses, wiege ich letztere mit ironischer Heiterkeit) Doch bald vergeht es mir: Was tun mit den Möbeln?
    Die Aufgabe ist unlösbar. Mein Wille scheitert an den Möglichkeiten. Ich muss mit Schätzwerten arbeiten, sie nehmen dem Ergebnis seine Autorität. Ein letzter Gedanke, ehe ich mich aufs ungewogene Sofa setze: wie die Kofferwaage selbst wiege, Fleischwaage, google, amazon hat die Waage gewogen. Jedoch, wurde das Paket mitsamt Zettelei gewogen?… Ich setze mich. Im Fernsehen kommt: Hitlers Bunker, danach: Hitlers Panzer. Guido Knopp, diese sadistische Bestie. Ich und wechsle den Kanal. Alexander Kluge hat nachgerechnet, auf Halberstadt sind über 1.400.000 Kilogramm Bombenmaterial abgeworfen worden. Ich schalte den Fernseher aus, den Computer dafür an. Auf der Startseite meines Email-Betreibers erscheint die Sensation des Tages: Detlef D Soest hat 2.000 Tonnen abgenommen.
    Derartige Häufungen trieben dei Menschen in den Nervenzusammenbruch, denke ich. Mich treiben sie an den Kühlschrank. Ich esse eine Tafel Ritter Sport zu 100g und ein Glas Milch, Inhalt: 350ml. Ohne Angst vor weiterem Übergewicht benenne ich die der kurzen Orgie folgende Ruhe. Es ist die aso genannte Bettschwere.

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