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July 10 | 2016
Ein Süppchen kochen.
Vor einiger Zeit las ich auf der Internetseite einer bekannten Wochenzeitung ein Rezept. Eine Gans war daran beteiligt, wurde gestopft, um sich in zwei oder mehr Stunden bei vielen hundert Grad in eine Delikatesse zu verwandeln. Die Details, wie mit dem Brocken Fleisch umzugehen sei, habe ich vergessen, während der Kommentarbereich großen Eindruck auf mich gemacht hat.
Kommentarbereiche sind Ausdruck demokratischer Gesinnung der vierten Gewalt, glaube ich. „Das Braten der Gans bedarf, soll sie lecker saftig werden, der Zuführung von Flüssigkeit“ könnte in einem Kochforum für Köche stehen. Der Sender dieser Botschaft hätte ein Versäumnis des Rezeptes aufgefunden und wäre bemüht, eine im Rahmen seines Erfahrungshorizontes formulierte Lösung anzubieten. Sicherlich könntena andere Köche ihm schlicht mangelhafte Erfahrung unterstellen, andere Lösungen anbieten, oder das Problem selbst in Frage stellen. Derlei könnte stehen im Kommentarbereich eines Forums für Köche.
Die Anzahl ausgebildeter Köche in online-Foren ist begrenzt. Die professionellen Kräfte müssen auch mal schlafen. Es kommt meist zum Ausbruch der Amateure. Sie besprechen nicht die Details des Vorgangs, sondern variieren nur einen einzigen Vorwurf: das Gegenüber hat einen schlechten Geschmack. Dieser Vorwurf ist ein moralischer: „120 Minuten bei 250 Grad und das in Zeiten von Fukushima! Ich glaube mir wird schlecht.“
Die Prämisse dieses Eintrags ist im Hinblick auf unsere Lebenspraxis radikal: Kochen ist nicht Kulturleistung, sondern Verbrechen. Katholiken können hier schnellen Anschluss finden. Geradezu zwingend die Schlussfolgerung: das Brot zu brechen beinhaltet schon, dass ein sündhafter Mensch es gebacken hat.
Durch den Beitrag inspiriert, erinnere mich an den großelterlichen Haushalt. Jeden Tag, drei Stunden, vier Kochplatten, dann noch der Kuchen für zwei Stunden im Backofen. Meine Erinnerung wird menschheitlich universell und ich rechne hoch. Wenn jetzt sieben Milliarden Menschen Omas Kuchen essen wollten… die Dimension erhält apokalyptische Ausmaße. Woher käme die Enerige, woher das Getreide, das Aroma Vanillin, wenn die Chinesen Omas Kuchen wollten? Das übergroße Begehren nach Kuchen, schaffte den Kuchen für mich schließlich ab. Oma könnte die Zutaten nicht mehr bezahlen (ein Kilo chinesisches Mehl: 84,99, ein Liter Milch, das weiße Gold, pam pam pam, so funktioniert der Markt, Handelskrieg, nuklearer Fallout.) Noch, denke ich, kostet die Stange Palmin 59 cent. Nach dem Kaffee legen wir uns eine Stunde hin – wenn das alle täten! Wir duschen, manch einer fährt zur Schaumparty nach Duisburg. 10.000 Liter Schaum denke ich noch, während mein Urin mit sechs Litern Wasser scheinbar auf dem Weg nach China ist. Ich habe mir viele Rezepte von Oma aufgeschrieben, zum nachkochen.
Ich schreibe selbst ins Forum.
Liquify: „Nicht nur den Ofen auf volle Pulle, sondern auch noch Flüßigkeit hinzufügen. Die Sahra wächst und wächst.“
JohannR: „Wer ist den diese Sahra“?
DezemberNietzsche: „Das mangelnde Wissen, um die Anwendung der neuen deutschen Rechtschreibung zeitigt auch in ihrem Fall wieder tolle Blüten. Das scharfe ‚ß‘ ist nicht etwa abgeschafft worden, sondern … [mehr lesen]
MettForEver: „’zeitigt Blüten,‘ haha, ich sage mal, Rechtschreibung ist nicht alles.“
Liquify: „Der Mangel an Respekt vor der Natur, der hier offen gezeigt wird, erschüttert mich.“
Ich lasse mehrere Aufrufe zu Sachlichkeit und Besonnenheit folgen. Sie sind Teil meiner Arbeit am Distinktionsvorteil. Niemand macht bislang den Vorwurf des Faschismus, entsprechend, muss ich auch das noch selber leisten.
Liquify: „Wer seine Pisse mit sechs Liter Wasser wegspült wär auch Wachmann im KZ geworden.“
Alternative18: „Ich kann es nicht glauben, wie hier das Erbe unserer Väter … [Anm. der Redaktion: die Leugnung des Holocausts steht in Deutschland unter Strafe. Vielen Dank]
wombat92: „Die Amerikaner geben mehr für Rüstung aus als der Rest der Welt zusammen. Wir werden uns noch umgucken, wenn denen das Wasser ausgeht!!!
Ab hier in Ruhe abwarten. Bei Bedarf durchs Ofenfenster nachsehen, ob noch genug Flüssigkeit drinnen ist, damit alles lecker saftig bleibt. Bei Bedarf nachgießen, ein kleines, rhetorisches Mittel im Kampf ums letzte Wort vielleicht.
Liquify: „Es lohnt sich nicht! Perlen vor die Säue!“
Guten Appetit.