Sehsucht.
    Ich sehe mich gern an einem kleinen Fluss, inmitten unberührter Natur, nur ich, der Fluss, der Wald, da – ein Fuchs, ein Eichhörnchen, hallo Eichhörnchen, Kuckuck! Vielleicht eine Angelrute, ein Messer, ein kleiner Matchsack auf dem Rücken, mit Nüssen drin. Und eine wärmere Jacke – da am Fluss wird es auch einmal kalt werden. Wo werde ich schlafen? Steht im Hintergrund noch ein Zelt, davor eine Feuerstelle, ein Rucksack? Kaffeefilter, Tassen, Nadel und Faden, besser auch ein Breitbandantibiotikum, GPS… und fertig ist das Gartenhaus.
    Wer in Skandinavien spazieren geht, oder die Alpen bewandert, will gar nicht in die Wildnis. Im Ernst, das kann niemand wollen. Sich in der Natur erfahren kann der von ihr Herausgeforderte nur, wenn er den Triumph der Gattung im Kleinen wiederholt. Wir Mängelwesen, bereits waidwund auf die Erde gekommene Fleischsäcke, haben es ja irgendwie geschafft uns in ein für günstiges Verhältnis zur Umwelt zu setzen. So ein Fluss und die Kälte sind deswegen nur die Sparringspartner eines gealterten Boxers, der schon seit Jahrzehnten von seinen Werbeinnahmen lebt.(Rocky III, genau) Fühlt er sich zu hart rangenommen, wird er den Ring verlassen, oder den Sparringspartner feuern.
    Der fromme Wunsch des selbstbewussten Menschen ist die Herausforderung, nicht die Überforderung. Mit Colombia, Jack Wolfskin und Vaude erhält er das einfache Leben aufrecht. Er besitzt Werkzeuge, sie stehen am Ende der Jahrtausende von Pfusch und Fummelei des Bastlers, der durch Rodung, Drainage und Siedlungsbau,irgendwann und für wenige eine Welt jenseits seiner Körperfunktionen entdeckte. Dort wohne ich jetzt, in dieser Welt der Freiheit und die Bewohner träumen immerzu aus ihr zu entfliehen und zwar ‚zurück‘, in diese einfache Welt der Körperfunktionen: Ernährung, Hygiene, Wärme, Schlafplatz. Um mehr geht es beim Hobby-survival ja nicht.
    Um wie vieles brutaler sind die Forderungen des Sozialverbands! Arbeit, Familie, Freunde, Verkehr, Mode – alles Bewegungen im Netz von Abhängigkeiten, hier zu locker, da zu stramm, manch einer hängt durch, den anderen zerreißt es. Dann hat man es sich mit dem Netz verscherzt. Unmöglich dort je als Sieger alle Fäden in der Hand zu halten. Outdoor darf ich mich der Illusion des einzelgängerischen Säugetiers hingeben und geschichtsvergessen den Stahl des Messers am Flussstein wetzen: so als ob ich Drainage, Rodung und Landwirtschaft nicht mehr nötig hätte, um in der Welt zu überleben. Dennoch: es ist eine gesteigerte Freiheit, meine lebensnotwendige Entfremdung von der Natur mit diesen Episoden des reduzierten Lebens zu verdecken.
    Wer den Hütchentrick der Naturerfahrung nachvollziehen will, kann die Idylle variieren. Das Funktionshemd ausgezogen, das Mückenspray vergessen und das Messer ins Wasser gefallen, wird es zum Bild der nackten Tragödie. Man stelle sich vor, ein Wanderer ohne Stock, Hut, Hund an der Leine, Karte und Mobiltelephon. Woher wüssten wir, dass er nicht in permanenter Lebensgefahr schwebte? Besser doch anzunehmen, er könne in ein Haus, an einen Tisch zurückkehren und von der Wanderung erzählen. Später, wenn sie dort über Fußball, Geschlechtspartner und Arbeitsmarkt reden, kann er sich wieder entfernen, dieser ideale Wanderer, und so tun, als gehöre er ewig woanders hin. Es bleibt, je nach Landschaft, der Ritt in den Sonnenuntergang, das Fahren zur See oder das Surfen im Café.

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