Zum Abschluss meiner Tage in Bamberg: ein unangenehmes Zufallsgespräch mit einer Besucherin der Evangelischen Studierendengemeinde, in der wir vorgetragen und die Woche über gewohnt haben. Sie gab mir einen Ratschlag, vorgetragen in vollem Ernst. Ich solle verträglicher werden, positiver. Der ungeschickt verdeckte Vorwurf miesepetriger Misanthropie schien mir absurd, waren doch viele Menschen, denen ich in der vergangenen Woche begegnet war, mir gegenüber das gewesen, was man aloof nennt: eine Arroganz und Besserwisserei, gespeist aus Verschüchterung, sofern man sich die Großzügigkeit erlauben kann, hier von den Ursachen zu sprechen. Die am Ort eingeübte Gesprächskultur war ein feindseliges Penismessen gebildeter junger Menschen, deren Humor sich ausschließlich ergibt aus der Erniedrigung des Gegenüber. So ein Humor ist zwangsläufig frei von Ironie, denn er ist unfähig sich selbst zum Objekt zu nehmen. Es ist der exklusive Humor sechzehnjähriger Schüler, der die Zugehörigkeit zur in-group zelebriert; es ist der fürchterliche Ernst zweier junger Männer, die im Gespräch vor einer begehrten Frau den anderen auszustechen suchen. Es ist die widerliche Freude junger Emporkömmlinge im Zirkel der Vorgesetzten, sich durch übertriebene Härte und Gehässigkeit auszuzeichnen. Es ist ein Humor, den nur vergeben kann, wer wiederum bereit ist, sich darüber zu erheben.
Durch so eine Geste der Erhabenheit wir man aber selbst zum Unmenschen. Ihn schafft der gefühlte Zwang sich selbst zum Sieger eines solchen Schlagabtausches hochzustechen, oder in paternalisierender Geste das Gegenüber als infantil abzutun. Ich bin mir zutiefst verhasst, wenn ich zu diesem Unmenschen werde und suche noch immer nach dem offenen, freundlichen Gesicht, das durch den abgeranzten Vorhang der Verachtung tritt, nicht um sich allein zum Affen zu machen, sondern um alle unten im Saal mit auf die Bühne zu ziehen. (womöglich ist es Stephen Frys Gesicht) Er würde auch niemanden mehr aloof nennen, sondern einfach arrogant oder besserwisserisch.
Jetzt, da am Bahnhof, während dieser kurzen Begegnung auf meinem Weg nach Hause mit diesem Ratschlag konfrontiert, wurde mir klar, dass ich in der letzten Woche außerhalb unseres eng gezogenen Freundeskreises der Schreiberlinge unter sozialer Kälte gelitten hatte. Nur in Einzelgesprächen oder unter Alkoholeinfluss, wenn die Gruppendynamik Pause machte, hatte ich das Glück zuvor Fremden wirklich zu begegnen. Das waren schöne Begegnungen, weil sie auf nichts zielten, stattdessen zufällig etwas trafen, um es zu teilen. Das scheint mir die richtige Beschreibung von inter-esse. Die Liebe zum Menschen stellt nichts zwischen sich und den anderen, sondern erforscht die Gemeinsamkeit. Sie ist idealer Weise bedingungslos.
Als ich mich verabschiedete und sie mir den Ratschlag gab, fragte ich im Scherze, ob sich jemand über mich beschwert hätte und betrat, weil ich ein dummer Mensch bin, lachend das feindliche Terrain. Sie würde da niemanden im Speziellen verpfeifen wollen, hieß es in vollem Ernst, und sofort erblühte sie – kurz und heftig – wie eine gehegte Primel auf Blumenbeeten, wie man sie vor großen institutionellen Einrichtungen findet. Und mit diesem Witz versage ich mir jede weitere Revanche.
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Unruhig.
Abartige Geräusche im Zug. Ein sehr laut schmatzender Kuss auf die Backe, verschleimter Husten eines Rauchers oder Erkrankten, die unendliche Wiederholung der Worte: Mami, Papi, Vati, Mami, Mama, Papi, Vati, Mama, Mami, … Dazu ein ermahnendes ‚schhhhhh!‘ der Mutter an die Kinder, etwa alle zwei Minuten und um ein Vielfaches lauter als alles Gebrabbel der Kinder zusammen. Kein Problem, solche Äußerungen der Menschen, sollte man meinen.
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Nach langen Nächten.
Im vollen Bewusstsein des linearen Zeitverlaufs, kippte er sich das Glas Wasser in die hyperbolische Figur. Ich freute mich über das zeitgemäße Sinnbild der Melancholie: nackter Hieronymus nimmt zwei Aspirin, guckt aus dem Gehäuse und kratzt sich am Steiß.