Im Selbstgespräch blicken Fußgänger auf die Ampel und reden scheinbar hörerlos auf die Menge ein. Rot. Ein Radfahrer wird umgemäht. Der im Auto verlängert twitter zuliebe den Bremsweg – #krassamverbluten. Der feiste Jan-Torben schickt der Gruppe ’10b rules‘ ein Video mit hektisch koppulierenden Säugetieren. Grün. Ein Teenager läuft gesenkten Blicks einem zweiten vor die Füße – anders als Abraham, erkannte er sie nicht. Die Bevölkerung nimmt nur noch virtuell am Verkehr teil.
Die harmlosen Exibitionisten erzählen ihrem Telephon und uns allen von der Vasektomie, der Therapiesitzung, dem Ergebnis des letzten Abstrichs. Ein lächerlich geringer Preis für so ein Fortschreiten. Unhöflich ist, wer die Midiversion von La cucaracha und Living on a Prayer als mp3 auf die Straße wirft. Menschen an der Peripherie, die dem Äther gerade entstiegen, oder ihm bald wieder als Asche zugeführt werden, können für sich technologische Unmündigkeit geltend machen. “Take my hand we will make it, I swear…”
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Der untersetzte Peter Pan mit Napoleon-Komplex hier im Café singt sein neo-realistisches Filmprojekt stilecht italienisch ins Telephon. Ich möchte ihn würgen, diesen eitel laut Schwätzenden, würdelos Alternden – allem ein Ende machen. Ich könnte aufstehen, ihn greifen und werfen, viel Widerstand wäre von seinen Freunden nicht zu erwarten. Er flöge auf den nächstbesten Tisch, aus seiner Hose fielen zwei Paar Tennissocken, angeklebtes Brusthaar löste sich. Beim zweiten Wurf, klirrendes Glas, er fiele krachend aus dem ersten Stock in seinen Scheiterhaufen aus brennendem Zelluloid. Die vielen Zeugen im Café würden zu meinen Gunsten aussagen, dass der Gewürgte ein exaltierter Arsch und der Welt ein Ärgernis gewesen. Ich käme damit durch.
In diesem Moment, auf der Kippe zum Straftatbestand, setzt sich eine Freundin neben mich auf die Treppe. Sie darf das, sie arbeitet hier. Mit ihrer dortmunder Schnauze zersägt sie den Singsang des elaborierten Filmemachers. Angestrengt zwecklos verdeckt er Ohr und Hörer mit der freien Hand. Unschuldig verschüttet ihr Lachen sein Anliegen.
Ich möchte sie leidenschaftlich küssen, um meiner Begeisterung für die Sache Ausdruck zu verleihen. Aber das macht man nicht, mitten im Café.
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Retroaktive Erbsünde.
Wer Recht sprechen will, muss ein Unrecht bekämpfen, dachte sich der liebejott und hängte seinen Subjekten nachträglich den Apfel an. Völlig überrascht von den Sünden ihrer Urahnen, spurten diese nicht schlecht, ließen sich aber nicht nehmen, aus der Erfahrung zu lernen und bereicherten ihr Gemeinwesen um Anwalt und Beweisführung.
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Du sollst dich nicht vergehen.
Opa hatte den Enkelmann so recht beim Schlawittchen, und schmiss ihn mitsamt der Mischpoke aus der warmen Hütte. Da sitzt er seitdem und befragt frierend die weisen Worte des Alten, getan als dieser ihn dereinst würgte, an der urväterlichen Tafel, im Angesicht des Herrn: “Datt hab ich nun von wovon und von wem?”
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Im Falle des Bankrotts des Patriarchats.
Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens kann das Erbe ohne Gefahr für das eigene Vermögen angetreten werden.
Oh je!