Angepflaumt.
Im Ruhe-Abteil der ersten Klasse erwischt mich a lady of a certain age beim Telephonieren. Zurecht werde ich zurechtgewiesen und entschuldige mich mit dem Hinweis, dass das Telephonat beinahe beendet sei. Sie setzt sich wieder hin und die Brille zurück, beugt sich über ihre Zeitung und lässt von mir ab. Ich lege auf und wundere mich über den wirschen Ton der Dame. Später werden andere Herrschaften fortgeschrittenen Alters hemmungslos das Telephon zücken und manch Konversation über Wetter und Reiseverlauf in ihren vergoldeten Computer brüllen. Sie bleiben unbehelligt und ich schöpfe Verdacht. Bin ich das Opfer des Generationenkrieges geworden? Ist meine Erscheinung zu jugendlich? Bin ich das Opfer sozialer Ausgrenzung? Ist mein Jutebeutel zu arm? Sollte ich in die zweite Klasse flüchten, damit mir widerfährt, wie mir gebührt? Ich ermanne mich und sage: wohl kaum, runzlige Alte, schließlich habe ich ein Ticket erster Klasse erwerben können. Ich bin einer von euch, ihr überreifen Bürgerpflaumen!
Beim Blick aus dem Fenster fällt mir die Erklärung vom Abteil-Tisch schließlich in den Schoß. Die Titelseite der Bildzeitung handelt vom wirren Volk in Dresden und davon handelte auch mein letzter Satz am Telephon, bevor ich angepflaumt wurde: „Da kann er ja gleich bei PEGIDA mitmarschieren“, hatte ich in den Hörer polemisiert. Das muss die Alte erschreckt haben. Sie fand ihr Habitat in der ersten Klasse durch mich verunreinigt und stand dagegen auf.