Beim Essen von Gaeng Panang Gai und mit Blick auf den Wittenbergplatz erinnerte ich mich an den Brief eines guten Freundes, in dem stand ungefähr: “Im Übrigen musst Du es nicht allen recht machen.” Da wurde mir das Herz ganz leicht und der Weg hinaus – auf den Wittenbergplatz, über die Pallasstraße, die Goltzstraße entlang – in meine Wohnung schien angenehm unbestimmt.
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Wrappierende Empörung.
Sie fraß den Schokoladenkuchen wie nach langem Hungerleiden. Der Hunger des Wolfes im Winter, des Bären im Frühling, oder des Spaziergängers im feuchtkalten Herbst. Vor Anstrengung leicht glühend, betrat sie das Café Savo, setzte sich zweimal um und bestellte, dann am rechten Platz, Schokoladenkuchen und heiße Schokolade. Ohne jede Sorgfalt zerteilte sie das schwere Stück mit der Gabel. Zerstückelung, Hiebe begleitet von gewaltigen Schlucken Schokoladenmilch – drei, um genau zu sein – dann war alles vorbei.
Mit der Schokolade war es vorbei. Der letzte Bissen alarmierte die Bedienung und brachte einen Teller mit Hähnchen und Ruccola im Teigmantel. Dieser Wrap leistete unerwarteten Widerstand, widerstand dem unkoordinierten Gehacke der Gabel in der rechten Hand, sodass die linke das Messer zur Hilfe nehmen musste, um das zu zerkleinernde Röllchen, weniger durch Schneiden als durch Applizierung vertikalen Drucks, in seiner strukturellen Integrität zu überwinden. So lehnte sich die kleine Person gegen das Essen auf, drückte sich selbst nach oben anstatt das Messer nach unten. Das zu Vertilgende zwang sie erst, sich zu erhöhen: “Oh widerwärtige Teigrolle, unnachgiebig, starr Einheit behauptendes Stück. Du Brocken an dem die Welt will, dass ich zu Grunde gehe. Du Nachweis meiner Impotenz und göttlicher Feindschaft. Komplize jeder Übermacht, als ob es deiner noch bedurfte!”
Die zu schwachen Finger nahmen das Messer schließlich in die Hand. Unbeholfene, brutale Gesten der geschlossenen Faust, Rucken und Stechen begleiteten jetzt die seltsame Nebentätigkeit der Bewohnerin des Nebentisches: das Lesen der Speisekarte. Halb auf Mütze und Handschuhe gelehnt, stand die Karte lesefreundlich vor dem Teller, und mir war nicht ganz klar, ob diese Aussicht die Essende nun motivierte, oder vollends in Verzweiflung stürzte. Ihr gut gefülltes Portemonnaie schien den ungestörten Konsum nicht zu garantieren. Die krampfende Hand, die hochgezogene Schulter, der angespannte Rücken – sie versagten schon beim zweiten Gang.
Die Lust muss ihr vegangen sein, dachte ich. Die unendlichen Möglichkeiten sind ihr zur Last geworden. Statt der Hoffnung, im Nächsten die Erfüllung zu erfressen, türmt sich vor ihr ein Berg an Aufgaben. Sie verließ, so schien es mir, das Lokal als gebrochene Person, die sich draußen von der wohlverdienten Stärkung würde wieder erholen müssen.