An den eigenen Hacken.
    Zunächst schien es mir, als hinge etwas schwer in der Luft, das sich mit einem Zug wieder verabschieden würde. Wer vom Lande kommt, weiß, dass das nicht stimmt, dass es die Luft selbst ist, die sich schwer macht. Für jene, die Zugriff auf diesen Erfahrungsschatz haben, kann ich kurz und knapp die heutige Berliner Luft benennen: ausgefahrene Jauche. Nicht das Beißen der frischen, noch in Tümpeln und Rinnen nicht versickern wollenden Jauche, sondern der Geruch wenige Stunden nach dem Ende der Sudelei. Die zum Aerosol aufgestiegene Scheiße steht dumpf in den Höfen, kriecht langsam über die Wege. Alles bedeckende Schwere, die so langsam weicht, dass sie die Hoffnung auf eine Welt ohne sie erstickt.
    Die Verzweiflung gleicht womöglich jenem, der einmal, ohne es zu wissen, in einen Hundehaufen mittlerer Konsistenz und heller Farbe getreten ist. Es muss ein Hundehaufen sein, denn jener beste Freund des Menschen verdaut, ebenso wie das Schwein und der Mensch selbst, durch Verfaulungsprozesse und gerade nicht jene der Fermentation. Das olfaktorische Ergebnis ist bekannt und nicht vergleichbar mit den weit weniger ätzenden Ausscheidungen von Kuh oder Pferd.
    Den Tag über sucht der Betretene immer wieder nach Gründen und Mitteln der Abhilfe für die Belästigung. Er glaubt sich zwischendurch im Wahn des Triumphes, wenn er den Gestank dem Gegenüber zuschreiben und sich entfernen kann – nur um kurz darauf von ihm eingeholt zu werden. Fenster werden geöffnet, Orte gemieden, gewechselt, ausweglos die Mine verzogen, bis der Leidensweg ein Ende findet und der Träger des Gestanks den Grund für sein Leid feste in den Teppich des Hausflures tritt. Damit bekommt der flüchtige Sinnesindruck eine ganz neue Dauer: Tage, sofern er den Fehltritt jetzt bemerkt. Wochen, falls Schuh und Teppich unbehandelt im Flur die Arbeit des Hundedarmes, sozusagen blind, fortsetzen.
    (Anmerkung. auch während ich dies schrieb, machte Berlin keine Anstalten, die faule Unbeweglicheit durch eine Brise zu ersetzen.)

    Gestern im Park zwischen Mariannen- und Adalbertstraße sah ich einen jungen Mann in meinem Alter mit Tättowierungen womöglich ‘pazifisch’ zu nennender Ästhetik, Rastalocken und löchrigem T-Shirt, der mit Freunden im Gras des Parks einen durchzog und die letzten Sonnenstrahlen des Tages genoss. Sein kleiner Hund machte den Besitzer auf die Anwesenheit einer Menge anderer Hunde aufmerksam, die von einem Hundesitter an mindestens acht Leinen aufs Gras der Wiese geführt wurden. Wild um-sich-defäkierend verleideten sie, die Hunde und ihr temporärer Halter, dem Mann in meinem Alter den Aufenthalt im Gras, und es kam zur Diskussion.
    Durch den kleinbürgerlichen Wortwechsel wieder ins Vertraute eingeholt, wurde mir sofort klar, dass der Mann in meinem Alter sich nur wenige Meter von seinem zu Hause befand, einem ebenfalls nicht mehr ganz jungen und allem Anschein nach auf Dauer fest eingerichteten Ford Transit, der Park also sein Vorgarten und die Massendefäkade eine Verletzung von Eigentumsrechten darstellte. So wurde aus dem nur schwer zu vermittelnden öffentlichen Ärgernis ein privates und da hört es bekanntlich auf.

    Der Sex des Alters, oder: The Autumn Years.
    Die grammatische Unzulänglichkeit mit der mich die kubanische Bedienung fragt, ob es denn geschmeckt habe, obwohl ich doch erst so recht begonnen hatte zu essen, trifft den Nagel auf den Kopf. Auf halbem Wege durch den Teller, bis zur Übelkeit abgekämpft und die Frage des guten Geschmacks längst hinter mir gelassen, werde ich kurz darauf aufgeben.
    Später am Tisch stelle ich mir vor, ich hätte geantwortet, es habe mir derart gemundet, dass ich gegen den Widerstand meines Körpers bis zu jenem Punkte weiteraß, den sie nun vor sich sehe, und dass ich trotz aller Bemühungen vom Projekt der Gesamt-Vertilgung abgelassen habe, um nicht dauerhafte Schäden davonzutragen. Ich stellte mir auch ihr Gesicht vor und wie der beim Servieren und Abkassieren immer kurz und frech aufblitzende Witz mir daraufhin ein Minz-Plättchen vorsetzen würde.

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