Der Gürtel des Elon.
Gestern Abend genoss ich im Garten den kurzen Eindruck etwas Außergewöhnliches zu sehen. Im Blick nach oben zeigten sich nicht nur der Mond und die Venus, sondern auch eine Reihe von Flugobjekten, die scheinbar in Linie den Himmel überquerten – eines nach dem anderen, alle mit der selben Geschwindigkeit und entlang der Ekliptik, dem Löwen durch den Kopf.
So etwas hatte ich noch nie gesehen. Außerirdische oder geheime Militärmanöver – eine sensationsgeile Sekunde wollte gern verlängert werden, aber ich widerstand und fragte das Internet.
‚Satelliten‘, ‚Reihe‘, ‚ungewöhnlich‘, ‚Europa‘. Sehr schnell fand sich die vernünftige Erklärung für das Phänomen, nur hatte die Information keine beruhigende Wirkung auf mich.
Es handelt sich um mehrere Dutzend Satelliten, die Elon Musk im Rahmen des sogenannten Starlink Projektes ins All schießen lässt. 43 000 solcher Satelliten sind geplant, 12 000 bereits genehmigt. Diese Zahlen haben mich sehr betroffen gemacht. Denn meinen Himmel gibt es dann nicht mehr, und, ja, das ist mein Himmel. Jeder von uns hat einen eigenen, wenn man nur nach oben guckt, zack, schon ist er da.
Es waren dort schon zuvor Satelliten zu sehen, die das Sonnenlicht ins Auge warfen, und natürlich die ISS Raumstation. Am Namen dieser Station kann man schon erklären, worin nun der große Unterschied besteht, zu ihrem Auftreten und dem der Starlink-Satelliten. Die International Space Station ist ein kollektives Unterfangen, sicherlich dominiert von der NASA, aber auch die NASA ist ein komplexes Ding, deren Widerständigkeit gegen direkte Weisung der jetzige US Präsident zu bestätigen weiß. Die Raumstation ISS verstellt den Blick ins All nicht. Ihre Existenz, wie auch ihr Potenzial im Hinblick auf den Menschheitstraum „Weltall“, gehört uns allen. —
Als Elon Musk einen Tesla Roadster mit Webcams auf der Windschutzscheibe ins All in Richtung Mars geschossen hat, schien mir das eine ungeheure Verschwendung an Ressourcen einerseits, aber andererseits auch eine angenehme Spinnerei. Eine Spinnerei, die einen durchaus inspirieren kann. Das war die Geste des Besoffenen, der aus Überschwang in die Luft schießt, oder der Looping eines Piloten, aus Freude an der Maschine und ihrem Erfinder. Man kann das für eine Dummheit halten, oder sich mit dem Spinner am Menschsein erfreuen. Die reine Spinnerei bedroht kein Menschenleben, außer das eigene.
Nun haben diese Satelliten einen ganz praktischen Wert, sie sollen die Welt mit ungekannt schnellem Internet versorgen, flächendeckend. Mit den ersten 500 Satelliten soll bereits das Festland der Vereinigten Staaten bespielt werden können. Man kann versuchen sich vorzustellen, was 43 000 Satelliten im Hinblick auf unser Kommunikationspotenzial und Verhalten ausrichten werden. Ehrlich gesagt, ich kann es mir noch nicht vorstellen. Starlink ist vielleicht – im Guten, wie im Schlechten – ein Gürtel. Er schnallt die Welt enger zusammen.
Festhalten kann ich zunächst: Die Masse an Objekten verstellt nicht nur den objektiven Horizont, wie Astronomen aller Länder bereits beklagen, sondern auch meinen persönlichen Zugriff auf den Himmel. Jedes Blinken und rotieren steht fortan für ein Privatunternehmen, ist Werbung, oder Antiwerbung, wie man will, aber es wird fortan unmöglich sein, sich mit bloßem Auge einen Himmel ohne Starlink zu erarbeiten. Er ist endgültig privatisiert worden. —
Ich habe mich immer für den Nachthimmel interessiert, fand es aber sehr schwierig die Konstellationen mit dem Auge nachzuzeichnen. Mein Problem war grundlegend: ich konnte die Verbindungen ohne Hilfsmittel nicht herstellen. Ein Wiedererkennen war mir nur möglich, wenn das Vorbild als Photographie oder Zeichnung direkt verfügbar war. Und auch dieser Erfolg blieb kurzlebig. Schon nach wenigen Minuten hatte ich alles vergessen und der Himmel war wieder ohne Struktur. Erst mit Einübung der Formen und einer Disziplin des Auges, dass nicht mehr wanderte, sondern auf der Stelle blieb, bis es selbst die Linie gezogen hatte, konnte ich die Sternbilder ‚sehen‘. Man kann man sich erst dann über Erscheinungen wundern, wenn der fixe Hintergrund bekannt ist.
Ein Komet, ein Planet, ein Flugzeug, die Raumstation ISS waren vor diesem Himmel Wunder. Die 43 000 Satelliten von Elon Musk verlangen nach einer neuen Methode, um ihrer Herr zu werden. Mit den kurzfristigen Konstellationen, die diese Satelliten mit ihrem Hintergrund bilden, kann ich nichts anfangen. Zugleich wird ihr Eingriff in die alten Bilder zu häufig und damit selbstverständlich sein, um Aufsehen zu erregen. Es wird hineingemalt werden, über Jahrzehnte, über meine eigene Lebenszeit hinaus, aber doch in keiner Weise regelmäßig, oder überhaupt einer Vorhersage würdig.
Die Satelliten leben nicht lange, sie werden abstürzen, aus der Umlaufbahn fliegen, verbrennen, zerschellen, den Strahlentod sterben. Der Raum jenseits der Atmosphäre ist ein brutaler. Auch wird der Mensch den Zweck dieser Lichter nicht vergessen können, um sie poetisch neu zu fassen. Wer soll sich mit einem solchen zugleich ephemeren, wie allgegenwärtigen Phänomen auf ästhetischer Ebene beschäftigen? —
Ich habe einen wiederkehrenden Traum, in dem ich tief am Horizont ein Sternenmeer entdecke, einen Haufen von Sternen, unendlich, so hell und blau und strahlend, dass mir noch im Traum Zweifel kommen, ob der Anblick echt ist. Später im Traum fliege ich, glaube ich, in dieses Meer hinein. In Standing Rock hatte ich dann ein déjà vue und sah einen Himmel, der mich an den Traum erinnerte. Ich konnte das Wunder aber nicht konservieren. Es war Minus 17 Grad kalt und die Einmaligkeit erschien mir relativ: dieser Himmel sollte auch morgen noch da sein.
Am Himmel hängt jetzt Elon Musks Traum. Er handelt nicht vom Himmel an sich, sondern nutzt ihn als Ressource im Hinblick auf einen konkreten Nutzen. Auf Anfrage hin, hat Musks Unternehmen, Space X bekanntgegeben, dass die nächsten zigtausend Satelliten mit einer matten, dunklen Oberfläche ausgestattet werden und weniger Sonnenlicht reflektieren. Sie sollen weniger auffällig ihre Runden drehen. Es nützt mir wenig. Ich weiß, dass sie da sind. Der Himmel dreht sich weiter, aber vor den Konstellationen rasen die Satelliten, vielfach und eng. Besonders belasten sie die Zwischenräume, die dunklen, unendlich tiefen Stellen, in denen der eigentliche Traum vom Weltall Platz hatte.
Ich muss von meinem Himmel absehen, er ist nicht zu retten. Tag und Nacht fliegt Elon Musk durch den Kopf des Löwen. Was aber muss ich versuchen festzuhalten? Was steht da geschrieben, wenn ich die Linien zwischen all den neuen Lichtern verbinde?
H-i-e-r s-t-e-h-t unter Anderem: Die Ressourcen für 43 000 Satelliten und die Infrastruktur Internet dürfen weder einem Unternehmen, noch einer Privatperson gehören.