Der tiefe Fall des Ulli Hoeneß fand heute seinen Höhepunkt, soll heißen: von jetzt an geht es nur noch bergab.
    Christian Rickens meint im Online-Spiegel, dass das Urteil eine große gesellschaftliche Wirkung haben wird, dass Steuerhinterziehung nun endgültig als Straftat begriffen werde. Wie sehr sich das Verhältnis des Staatsbürgers zu seinem Habitat verändert, bleibt offen.
    Das Phänomen ‚Manager‘ ließ sich auch durch die lange Haftstrafe von Peter Graf nicht beindrucken. Wer über lange Zeit in der Badewanne des fensterlosen Einzelabteils sein Plastikböötchen erfolgreich zwischen die eigenen Beine steuert, vergisst, dass er sich an Bord des Staatsschiffs befindet.

    Lange vor meiner Geburt war mein Großvater Verkäufer im Außendienst einer Firma, die er gemeinsam mit seinen zwei Brüdern führte. Den Erzählungen und Photos nach zu urteilen, fuhr er dazu schnelle Schiffe mit Heckflossen aus Rüsselsheim und verbrachte die Wochen im Auto, auf Messen oder in Hotels. Seine Vorliebe auf Reisen hauptsächlich Schokolade zu sich zu nehmen, habe ich allem Anschein nach geerbt, denn an Flughäfen und im Mietwagen führe ich, wie er damals, stets mehrere Tafeln mit mir. Davon abgesehen hielt ich unsere Gemeinsamkeiten jedoch stets für überschaubar.
    Wenn er von langer Reise am Wochenende nach Hause kam, war er berüchtigt dafür sich, ohne ein Wort zu verlieren, an die Hammond Orgel im Wohnzimmer zu setzen und für mehrere Stunden das Haus mit allen Registern zu fluten. Erst danach soll er für das weitere Leben wieder zur Verfügung gestanden und mit der Familie zu Abend gegessen haben.
    Eine Studie auf dem Hopkins Campus stellt nun fest, dass sich etwa achtzig Prozent der Doktoranden in psychologischer Behandlung befinden. Das sogenannte Counseling-Center wächst und gedeiht entsprechend und die in Bezug auf ihren Tablettenkonsum sehr mitteilsamen Amerikaner lassen mich wissen, dass sich die Behandlung nicht auf das beratende Gespräch beschränkt. Wer David Foster Wallace gelesen hat, kann sich diesbezüglich nicht überrascht geben.
    Erschreckend sind weniger die Zahl und das Ausmaß der Störungen, denn schon bei Caddyshack ist die völlige Normalität der Angstattacke des Golf-Club-Stipendiaten ein Grund zum Lachen. Erschreckend ist die Tatsache, dass niemand auf die Idee kommt, vor der Behandlung mit Prozac oder Ritalin eine Runde Orgel zu spielen. Für die Handlungsanweisung entscheidend ist vielleicht, dass der Orgelspieler weniger einfach zu ignorieren ist, als ein apathisch in der Ecke vor sich hinlernender funktionaler Soziopath. Auch sind ausgesprochen agressives Wettkampfverhalten und selbstausbeuterischer Perfektionismus eher gewünschter Effekt als Nebenwirkung. Besonders dramatisch: wer stundenlang Orgel spielt kann währenddessen nicht arbeiten. Ich vermute daher, dass auch Yogakurse und Halbmarathonlauf nur vorübergehende Erscheinungen der Selbstoptimierung darstellen, die darauf warten durch die Einnahme einer Pille ersetzt zu werden.

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